Was vor wenigen Jahren bei Naomi Klein in ihrem zum modernen Klassiker der globalisierungskritischen Bewegung gewordenen Buch „No Logo!“ noch wie Ge-schichten aus dem fernen Amerika klang, wird zunehmend Realität – auch an Hochschulen in Deutschland: „Das Branding des Lernens“.
Werbeslogan des „Campus Contest 2008“ ausgerichtet vom Modelabel s.Oliver: „Macht Eure Hochschule zur Arena of Sound“. Der Text wirbt mit den Aussagen: „Planen statt pauken, konzipieren statt repetieren, selber machen statt zuhören“.
Revolutionen: Die Selbstbemächtigung der 68er wird verdreht zur Aufforderung an einer Kampagne aktiv teilzunehmen – selbst eine Rolle zu spielen. Das klingt nach Befreiung, Selbstbestimmtheit und Eigeninitiative – alles alte 68er-Werte. Nur das heute die Rollen und die Eigeninitiative von Marketing-Kreativen vordefiniert werden. Die Freiheit besteht nun darin mitzuspielen oder eben nicht. Zwang gibt es keinen. Nur Täuschung. Diese Instant-Versionen von Freiheit & Co sind reine Suggestion und haben mit echter Selbstbestimmung nichts zu tun. Sie machen das Leben aber einfacher – bieten Orientierung und geben Anleitung – so geht das – selbst nachdenken und kreieren scheint auch viel zu schwierig in Anbetracht solch wunderbar vorverdauter Image- und Erlebnisangebote. Und wieso auch nicht? Party macht doch Spaß! Egal wer die Zeche zahlt.
Carsten Müller analysiert die markentechnische Eroberung des wilden Studentenlebens anhand seiner Erfahrungen mit der Kampagne „Campus Contest 2008“ vom Modelabel QS der Firma S.Oliver (Bernd Freier GmbH & Co. KG) . Sehr lesenswert >> zum Artikel auf den nachdenkseiten.
Gestern sprach ich (geboren 1968) auf dem Symposium 1968 heute. Die anderen Vortragenden waren intellektuelle Alt-68er [1], die sich damals theoretisch kritisch mit “den Verhältnissen” auseinandersetzten und auch praktisch versuchten dies mehr oder weniger radikal zu leben. Heute haben sie sich im Kultur- und Bildungsbetrieb etabliert.
Die Ganze Veranstaltung und Diskussion war für mich zunächst ein unheimlich desillusionierendes und frustrierendes Erlebnis.
Da das Thema 1968 heute lautete, hatte ich erwartet, daß auch über das Heute gesprochen werden würde. Anstatt dessen wurden Situation(en) und Gemütslagen von damals geschildert und immer wieder darauf hingewiesen, dass man diese differenziert betrachten müsse. Different waren dann die persönlichen Erlebnisse und Anekdoten tatsächlich, die den Großteil der zur Verfügung stehenden Zeit einnahmen. Die Geschichten waren allesamt interessant – so interessant wie Opas Geschichten vom Krieg. Doch diese höre ich mir lieber bei ‘nem Glas Wein an und nicht auf einem vermeintlich spannenden Symposium.
Wieso könnte ein Symposium zu 68 heute überhaupt spannend sein?
Weil
a) das, was unter dem Label 68 subsumiert wird, zu kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen geführt hat, die unsere Welt von heute prägen (wenn auch gänzlich anders, als die 68er sich das erhofft hatten)
b) seit 68 Kritik und Protest kaum mehr derart erfrischend formuliert und gelebt wurden, und die Verhältnisse in 2008 mindestens eben so viel davon vertragen könnten – nur eben anders. Denn einerseits sind die Verhältnisse heute Andere und anderseits haben mitunter die Utopien und das Engagement der 68er in das heutige Schlamassel geführt. Es geht nicht darum, ob und wie die 68er trotz bester Absichten am Heute Schuld sind, sondern was wir heute machen können, um aus dem Schlamassel rauszukommen.
c) es viel versprechend sein könnte die Kritik- und Utopie-Kompetenz von damals in das Heute zu transformieren – mit der Welt von heute zu konfrontieren – und daraus aktuelle Perspektiven der Kritik sowie Praktiken des Widerstandes und des Lebens zu entwickeln. Selbstverständlich nicht als eine Neuauflage von 68, sondern mit einem kritischen Blick auf das, was damals versucht, erreicht und eben auch nicht erreicht wurde.
Wahrscheinlich war es vollkommen naiv von mir irgendetwas dieser Art zu erwarten.
Dennoch hatte ich von Diskussionen vor Ort (auf dem Symposium und danach im Restaurant) mehr erwartet, als das, was mir die omnipräsenten 68er auf allen Kanälen vermitteln – nämlich wenig für heute Relevantes. An Stelle dessen: viele Anekdoten, mehr oder weniger intelligente Analysen von damals und davor (historisch) sowie wunderbar exotisch-unterhaltsame Dokumente einer vergangenen Zeit.
Wir müssen das jetzt wohl alleine machen [2].
Rat und Tat sind von den 68ern nicht zu erwarten – ausser frustriertes Gemoser über die jungen Leute, die nicht mehr zur Kritik fähig sind und überhaupt (darauf verzichte ich gern).
Da ist mir ja selbst die schamlose Instrumentalisierung von 68er-Images und -Styles lieber: Wildes Leben, Flower Power, Selbstverwirklichung, Freie Liebe, Protest und Revolution als sinnentleerte aber immer faszinierende Attitüden, die zur Image-Kontruktion von Brands verwendet werden. Diese Sachen machen irgendwie Spaß und gleichzeitig klar: diese Attitüden kann man für ernsthafte Anliegen (echten Protest, echte Kritik, echte Veränderung oder gar Revolution) nicht mehr verwenden. Lasst uns Spaß haben an dem Käse und ihn darüber hinaus nicht ernst nehmen. De-Branding möchte diese Haltung vermitteln – auf eine spaßige oder besser gesagt anschlussfähige Art und Weise. De-Branding möchte eine Brand-Mündigkeit. Deren (utopisches) Ziel ist die persönliche Identität frei von den strategischen Image-Anboten konstruieren zu können. Es geht aber nicht nur um den skeptischen Blick auf jedwede strategische Image-Konstruktion (=Branding). Es geht auch um den Blick dahinter. Um die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenhänge, in denen unser Konsumleben und das Treiben von Unternehmen und Politik stattfindet. Es geht darum dahinter die Mechanismen von Ausbeutung zu erkennen und Möglichkeiten zu finden dagegen zu handeln.
Da diese Begegnung der dritten Art vorerst zu der gerade skizzierten Auseinandersetzung geführt hat, war sie doch nicht vergeblich, sondern eigentlich recht inspirierend. Ich hoffe dies geht auch den anderen Beteiligten so (denen, die dabei waren und allen Anderen) und würde mich freuen weiter zu streiten ;-) Nutzt die Kommentar-Funktion !-)
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Und da Bildchen immer gut kommen, hier noch ein bisschen Material aus meinem Vortrag (der ganz in 68er-Manier recht collage-artig war, was zugegebenermaßen an der zu knappen Vorbereitungszeit lag).
[1] mit Ausnahme von Dr. Klaus Klemp, der 1968 erst 14 war. Er hat ohne viele Anekdoten und ohne Pathos phantastische Plakate aus der Zeit gezeigt und besprochen.
[2] Prof. Dr. Klaus Kreimeier hat dies als Resümee offen zugegeben. Ebenso sind Dr. Cora Stephan und auch Prof. Dr. Karin Wilhelm einigermaßen unverklärt mit ihrer 68er-Vergangenheit umgegangen. Beide haben ihr 68 kritisch reflektiert, können daraus aber keine Perspektiven für 2008 entwickeln und gestehen dies auch offen ein (wenigstens ehrlich).
“Das wilde Leben”, “Revolution” und “Freiheit” und die dazu gehörigen Bilder sind Images und Attitüden geworden, die für so ziemlich für alles verwendet werden, nur nicht im Sinne ihre eigentlichen Sinnes.
Brandzeichen lassen sich nicht ausradieren. Man kann sie aber überlagern, sie verfremden oder ihnen andere Zeichen entgegen setzen. Man kann sich ihres Codes für eigene Zwecke bemächtigen. Man kann sie überhaupt erst als Brandzeichen entlarven und ihr Verhältnis zwischen KreatUR (dem Rindvieh), KreatEUR (dem Designer) und kreatOYER* (Ben Cartwright) erkennbar machen. De-Branding will diesen Kreislauf stören und damit bei allen Beteiligten neue kreative Prozesse hin zu einer neuen “Brand-Mündigkeit” (oder Brand-Müdigkeit?) anstoßen…